Alphonse de Lamartine

Die Friedensmarseillaise (1841) (übersetzt von F. Freiligrath)

An Nicolaus Becker

0 rolle stolz und frei, zieh deines Wegs gelassen,
du Nil des Okzidents, Nationenbecher Rhein,
und schwemme mit dir fort den Ehrgeiz und das Hassen
der Völker, die geschart sich deiner Woge freun!

Nie von dem roten Blut des Franken sei dein Rücken,
nie von dem blauen auch des Deutschen mehr befleckt!
Nie biege mehr Geschütz die Joche deiner Brücken,
die, Händen gleich, ein Volk aus nach dem andern streckt!
Nie senke zischend mehr der Schlachten Regenbogen,
die glühnde Bombe, sich auf deine Rebenhöhn!
Nie mög ein zitternd Kind im Schaume deiner Wogen
blutrünst'ge Rosse mehr, von blut'ger Mähn umflogen,
mit deinen Wirbeln ringen sehn!

0 rolle klar und frei, und spiegle deinem Volke
die Burgen, die dein Wehn mit Efeu grün umflicht;
sie dräun auf ihrem Fels, wie eine letzte Wolke
mit ihrem Zorn bedräut ein ruhig Angesicht.

Das Fahrzeug, das der Dampf durchpulst wie eine Seele,
anatmen soll es dich mit seinem Feuerhauch;
es soll dir Grüße sprühn, und aus entbrannter Kehle
zu deiner Berge Stirn aufzüngeln soll sein Rauch!
Es trägt lebend'ge Fracht, ein Lied von hundert Lippen
schallt nieder vom Verdeck, die Pilger stehn geschart;
stromaufwärts treibt es sie nach deines Ursprungs Klippen;
es sehnt ihr Auge sich, zu schaun die Felsenrippen,
wo du entströmst zu freud'ger Fahrt!

Roll hin, frei und beglückt! Der Gott, der deine Wellen
hoch im Gebirge schlug aus Gletscher und Gestein,
ließ deinen Tropfen nicht zum mächt'gen Strome schwellen,
daß er entzweie - nein, daß er verbinde, Rhein!

Warum uns streiten denn um Hügel und um Flächen?
Leicht ja ist unser Zelt, ein Windstoß reißt es fort;
gefüllt noch ist der Tisch, an dem das Brot wir brechen,
abrufen uns vom Mahl kann nur des Todes Wort.
Noch sieht die Furche man die Pflugschar gern belohnen;
vom Anschaun wird das Glühn der Sonne nicht geschwächt;
noch steht die Flur geschmückt mit Laub- und Ährenkronen;
fehlt denn das Leichentuch der Erde Nationen
für das begrabene Geschlecht?

Roll hin, frei und in Pracht, umgraut von deinen Trümmern,
du Strom, an dem Armin entblößten Schwertes stand!
Du Strom, den Cäsar trank, umringt von seinen Schwimmern,
und den nicht ausgeschöpft des großen Karol Hand!

Und warum hassen uns? Warum ein Band gezogen,
das Gott ein Greuel ist, weil es die Stämme trennt?
O hebt den Blick empor! Schaut auf zum Himmelsbogen,
ob eine Grenze wohl sein blau Gewölbe kennt!
Nationen! (stolzes Wort für eine schlechte Sache!)
ist euch die Liebe nur im eignen Hause Pflicht?
Zerreißt die Fahnen doch! Was soll am Strom die Wache!
Wer hat ein Vaterland? Die Selbstsucht nur, die Rache!
Die Bruderliebe wahrlich nicht!

Roll hin - frei, königlich! Ein Stromfürst, reich an Gnade!
Und wenn du segnend ziehst durch deine Rebengaun,
o Rhein, so frage nicht die Wandrer am Gestade,
ob sie nach Morgen spähn, ob sie nach Abend schaun!

Nicht wird nach Graden mehr bestimmt der Menschheit Erbe!
Kein Fluß mehr grenzt es ab, kein Meer, kein Himmelsstrich!
Kein Markstein als der Geist! - Wie man die Karten färbe,
im Drang nach Licht erhebt die Welt zur Einheit sich!
Ich fühle mich zu Haus, wo Frankreichs Strahlen brennen,
wo seiner Sprache Schall mir tönt als Heimatspfand!
Das beste Bürgerrecht der Geist und das Erkennen!
Wer denkt - wes Volkes auch! -, ich will ihn Landsmann nennen!
Die Wahrheit ist mein Vaterland!

Roll hin - frei durch ein Land der Freien und der Starken!
Du tränktest ihren Geist, du tränktest ihren Stahl!
Oh, mög ihr alter Zorn in deines Bettes Marken
wie Gletschereis zergehn an des Jahrhunderts Strahl!

Den edlen Söhnen Heil Deutschlands, des ernsten, treuen!
Kalt zwar ist ihre Stirn, doch in den Schädeln brennt's!
Den Rittern, die um Karl als Könige sich reihen!
Nestoren sind sie gleich im Rat des Okzidents!
Gedankentief ihr Wort! Von Kraft erfüllt und Schöne,
rauscht es in falt'ger Pracht wie einer Fürstin Kleid;
ihr festes Herz ist gleich dem Brunnen der Sirene:
Was man hinein auch wirft - Haß, Liebe, Kuß und Träne,
er hält es fest auf alle Zeit!

0 rolle frei und treu um Bogen und um Strebe,
still wie ein harmlos Kind und ungebändigt doch!
Laß grünen am Gestad der Fürsten Herrscherstäbe –
ein Joch, das man gewählt, ist immer Freiheit noch!

Und auch den Schwärmen Heil aus Frankreichs Bienenstocke!
Es sandte sie der Herr als seine Boten aus!
Die Hoffnung weht als Kranz um ihres Hauptes Locke;
sie sän, doch nimmer ziehn als Ernter sie nach Haus.
Der Boden, den sie baun - frei darf er Früchte spenden!
Rasch wallt ihr feutig Blut, und ihre Stirne loht!
Ein Bogen ist ihr Herz, von dem mit kräft'gen Händen
die Pfeile der Idee aus in die Welt sie senden;
und wenn nicht die Idee - den Tod!

Roll hin - laß beide sich erfreuen deiner Welle!
Erinnre dich für sie der Hand, die dich gesandt!
Den Bergstier und den Aar letzt segnend deine Quelle –
Oh, mag die Völker auch vereinigen dein Strand!

Meerüber, Freunde, schaut, daß euch der Osten mahne!
Verödet dehnt er sich - unübersehbar weit!
Umsonst ermüdet dort der Raum die Karawane,
in ihren Träumen dort schläft aus die Einsamkeit.
Versiegte Völker dort - leer ihre Leinwandhäuser!
Ein staubig Königreich in jeder Wagenspur!
Die Pyramide dort, indes der Schakal heiser
in ihrem Schatten bellt, schmückt als ein goldner Weiser
der Wüste nackte Sonnenuhr.

Roll hin - bis ins Gebraus der Euphratmündung rolle!
Flicht schäumend dich ins Netz der Erdball-Adern ein!
Gib Vlies und Korn zurück des Ostens dürrer Scholle:
Die Menschen laß ein Volk - ein Meer die Flüsse sein!

Nationen, die zuerst ihr aus der Menschheit Wiege
herwärts nach Westen trugt der Stämme Überfluß:
zurück, von wo ihr kamt! - Um PaIm und Zeder liege
des ausgetretnen Stroms bewaffneter Erguß!
Zieht hin, wie Joseph einst und seine Brüder zogen,
als sie mit Dürre schlug der Herr in seinem Zorn;
zum Nilschlamm eilten sie, und von des Niles Wogen
froh kehrten sie zurück, den Nacken krumm gebogen
von des Ägypters gelbem Korn!

O rolle frei durchs Land, und von der Alpe Rücken
flöß uns den Baum herab, aus dem wir Masten haun!
Zum Tauwerk gib uns Hanf! - Die Tannen sind die Brücken,
die übers Weltmeer sich der Erde Zonen baun!

Wohlauf denn! Doch verliert den Bruder nicht vom Zuge!
Verkauft kein zitternd Volk, das nach Erlösung schreit!
Und wenn zurück ihr kehrt, zeigt nicht mit schnödem Truge
statt des geliebten Sohns des Sohnes blutig Kleid!
Bringt heim das Korn, das Gold, die Seide samt der Wolle,
dazu die Freiheit auch, die Herrin im Gefild!
Aus Lust und Einigkeit webt eine freudenvolle
Weltfahne, die dem Schaun der Völker stolz entrolle
die Einheit, Gottes Wappenschild!

O rolle frei und froh! Und deine Frühlingswogen,
um deines Ufers Schilf anbrandend laß sie sprühn!
Und lächelnd spiegle sich des Friedens Regenbogen,
der unsre Banner färbt, in
deiner Fluten Grün!

Alphonse-Marie-Louis de Lamartine (nach einem Gemälde von Decaisne)

wurde am 21.10.1790 in Mâcon / Burgund geboren. Der bedeutende romantische Dichter trat auch als christlich, liberaler Politiker hervor und war 1848 für kurze Zeit Außenminister.

Er verstarb am 1.3.1869 in Passy bei Paris.

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